Lasst Millionen Blüten blühen

Klaus Nüchtern, in: FALTER Nr. 15/2014

Vor 50 Jahren wurde die WIG 64 eröffnet. Die Gartenschau bescherte Wien den Donauturm, den Donaupark und einen starken Schub in Sachen Stadtentwicklung.

 

Jetzt mal ehrlich, ein wenig mehr Fingerspitzengefühl hätte sich der Donauturm schon verdient: Ausgerechnet zu seinem 50. Geburtstag stellt man dem langen Lackel aus der Donaustadt in nur einem Kilometer Luftlinie Entfernung einen blutjungen Konkurrenten vor die Nase.

Der erste Turm der DC Towers harrt zwar noch seines Zwillings und ist mit einer Höhe von exakt einem Viertelkilometer auch um zwei Meter kürzer als der Jubilar, im Stadtbild ist der Dark Knight der Donauplatte aber "weitaus stärker präsent als die schlanke Nadel im Donaupark", wie Andreas Nierhaus in seinem Katalogbeitrag zur Ausstellung "WIG 64 - Die grüne Nachkriegsmoderne" im Wien Museum fast ein wenig süffisant anmerkt.

 

Als der Donauturm am 16. April 1964 gemeinsam mit und als Wahrzeichen der Wiener Internationalen Gartenschau eröffnet wird, nehmen die Menschen eine halbe Stunde Wartezeit in Kauf, um mit dem schnellsten Expresslift Europas auf die in 150 Meter Höhe gelegene Aussichtsplattform zu gelangen. In einem "Eigenbericht" schreibt tags darauf Herbert Löwy in der Arbeiter-Zeitung (AZ): "Für mich ist das neue Bild der Stadt, das man von hier aus gewinnt, am bestechendsten: Die Stadt wie von einem Theatermaler auf einen Prospekt gemalt."

 

Als Gebäude war der 252 Meter hohe Donauturm eine in Beton gegossene Überbietungsgeste: Er hatte in erster Linie höher zu sein als seine Konkurrenten in Stuttgart (217 Meter) und Dortmund (219 Meter) und war im Unterschied zu diesen kein Fernsehturm; diese Funktion erfüllte seit 1957 der Sender Kahlenberg.

 

Kritik blieb denn auch nicht aus: Wo die AZ das vom Architekten Hannes Lintl und dem Statiker Robert Krapfenbauer realisierte Prestigeprojekt schon nach der Grundsteinlegung im Jahr 1962 unfreiwillig ambivalent als "einen modernen Turmbau zu Babel" pries, befand der Architekturkritiker Friedrich Achleitner, dass man anstelle des "aus reiner 'Hetz und um 60 Millionen Schilling in die Landschaft geklotzten Turms' genauso gut einen Ozeandampfer (hätte) kaufen können".

 

Die WIG 64 ist ein typisches Kind ihrer Zeit, zugleich Ausdruck und Agent eines Wirtschaftsaufschwungs, in dem die Wiederaufbauanstrengungen nun endlich mit ungleich verteilten, aber doch allgemein spürbarem und sichtbarem Wohlstand belohnt werden.

 

Neben dem Kampf um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten (die Arbeitswoche wird auf 45 Stunden beschränkt) sind auch Belange der Freizeitgestaltung von politischer Bedeutung, das Stichwort vom "Sozialen Grün" wird ab den frühen 1950er-Jahren "zum Leitbegriff der Wiener Grünraumbewegung" (Kuratorin Martina Nußbaumer im Ausstellungskatalog).

 

Die Blume des Fortschritts erblüht am schönsten vor düsterem Hintergrund. "Zwischen Stahl, Beton und Asphalt verkümmert das Grün, verkümmert der Mensch" hält das "WIG 64 Bulletin" ein Jahr vor Eröffnung der Gartenschau fest und setzt in übersteuertem Pathos fort: "Die schicksalshafte Störung und drohende Zerstörung des natürlichen Lebens ist das Kains-Zeichen unserer atomspaltenden und weltraumfahrenden Generation." Dagegen optiert die WIG als "internationale Demonstration der Gärtner, der Landschaftsgestalter, der gartenbaulichen Industrie und der modernen Medizin für das Soziale Grün".

 

Um dieses Soziale Grün nicht einfach ins Kraut schießen zu lassen, waren präzise Nutzungsvorgaben nötig, wie sie Alfred Auer, damals Leiter des Wiener Stadtgartenamtes, bereits 1957 programmatisch in einem Aufsatz festhielt, in dem er forderte, die öffentliche Gartenanlage "sorgsam bis ins kleinste Detail" einzurichten: "den Dominoplatz für Pensionisten, die Ruhebank zwischen Sommerblumen und Stauden und für die Jugend den Spielplatz!"

 

Dieser betuliche Paternalismus der Sozialdemokratie stieß schon damals auf Kritik. Beherzt und mit viel Witz polemisierte Friedrich Achleitner 1969 gegen das "asoziale Grün" und mokierte sich über die "kleinkarierte Funktionstrennung", wie sie sich in der Einteilung "in Gehflächen und Ruheflächen, Sitzflächen und Strickflächen, Flächen zum Klopfen und Flächen zum Mistausleeren" manifestiere.

 

In nämliche Kerbe schlug bereits fünf Jahre zuvor Architekt Hermann Czech, der in seinem Pamphlet "Schau, schää..." die WIG 64 als "wildgewordene Fantasie eines Kleingärtners" enttarnte und eine bis heute gültige Kritik des populistischen und letztendlich zynischen Professionalismus der Macher formulierte: "Da jedermann irgend etwas 'managt', beurteilt er eine Sache nicht unmittelbar, sondern 'fachmännisch', ob der Bauernfang 'gut gemacht' ist. Folgerichtig hat diese Haltung auch etwas Schulmeisterliches; sie möchte das Publikum zu dem erziehen, was sie ihm ohnehin vorsetzt."

(c) Wien Museum
(c) Wien Museum

Als "Paradies in der Nussschale" bezeichnete Bundespräsident Adolf Schärf die WIG 64, sein späterer Amtsnachfolger, Wiens damaliger Bürgermeister Franz Jonas, erhoffte sich vom "naturverbundenen Rahmen" der Gärten und Grünflächen ganz generell eine Verjüngung der Stadt, "damit in ihr viele gesunde, starke und schöne Menschen eine bessere Welt aufbauen können".

Die Errichtung des Paradieses fand freilich in einer im doppelten Sinne „Kontaminierten Landschaft“ statt. Zum einen wurde die WIG auf einer Mülldeponie errichtet – eine Entsorgungsvariante, die mit einem historischen Ablaufdatum versehen war: 1964 nahm die Müllverbrennungsanlage am Flötzersteig ihren Betrieb auf.

Zum anderen Befand sich auf dem östlichen Teil des Donauparks die 1871 errichtete k.u.k. Militärschießstätte Kagran, die von den Nazis als eine Hinrichtungsstätte genutzt worden war: Zwischen 1940 und 1945 sind hier mindestens 129 Menschen, hauptsächlich Angehörige der Wehrmacht, die der "Zersetzung der Wehrkraft" und der "Fahnenflucht" beschuldigt wurden, exekutiert worden.

Obwohl sich der Donaupark einer regen Benutzung als Abwurfstelle für Denkmäler südamerikanischer Revolutionäre und Freiheitshelden erfreute (Salvador Allende, Simon Bolivar, Che Guevara), dauerte es bis 1984, ehe für die hingerichteten Deserteure ein Gedenkstein errichtet wurde.

Eine andere Stätte, an der die Stadtväter unterschiedlicher Couleur und Epochen immer wieder Anstoß genommen hatten, war das so genannte (aber durchaus nicht nur aus windschiefen Holzhütten bestehende) "Brettldorf", das Anfang des Jahrhunderts illegal auf landwirtschaftlichen Pachtflächen entstanden war und als "Elendsviertel" galt.

Die Hoffnung, diesen "Schandfleck" zum Verschwinden zu bringen, indem man buchstäblich Gras darüberwachsen ließ, manifestiert sich in unschöner rhetorischer Deutlichkeit im 1964 von der Redaktion der Zeitschrift Die Gartenbauwirtschaft herausgegebenen "WIG-Handbuch für den Gärtner", wo von einem "Tummelplatz für allerlei Volk, eine(r) Brutstätte für Ratten und anderes Ungeziefer" die Rede ist. 

So kritisch man die WIG 64 sehen mag, so nimmt sich deren Superlativismus aus der Distanz eines halben Jahrhunderts nicht nur rührend, sondern durchaus auch beeindruckend aus. Dass bei rund sieben Millionen Blumen und Bäumen, Sträuchern und Stauden auf "jeden Österreicher also eine Pflanze" kommt, wie die AZ anmerkte, mag man als putzige Pointe verbuchen, die Dimensionen insgesamt sind aber in der Tat gewaltig.

Was hat man nicht für ein Aufhebens gemacht, als Josef Beuys 1982 unter dem treudoofen Schlagwort "Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung" seine 7000 Eichen in Kassel verteilen ließ. 18 Jahre zuvor "verwaldete" die Wiener Stadtverwaltung den Donaupark mit insgesamt 70.000 Bäumen und legte auch noch zwei Millionen Stauden und eine halbe Million Sträucher drauf.

Im Vergleich zu der Erschließung und Bebauung eines Areals von rund 800.000 Quadratmetern (das mittlerweile u.a. durch die Errichtung der UNO-City oder andere Bebauungen etwas geschrumpft ist) gleichen die "großen" Grünprojekte der Gegenwart doch eher der Errichtung eines Beserlparks: der Seepark Aspern umfasst 50.000, der am Hauptbahnhof gelegene Helmut-Zilk-Park ist mit 70.000 Quadratmetern projektiert.

Gerade in grüngemütlichen Zeiten, in denen die Verwohnzimmerung des urbanen Raums und der Ausbau boboesker Wohlfühlzonen allen Ernstes als "Politik" durchgehen, nehmen sich die stadtplanerischen Anstrengungen der frühen 1960er-Jahre keineswegs so spießig und kleingeistig aus, wie mitunter getan wird. Und während die zehn Jahre später in Oberlaa eröffnete WIG 74 trotz geringfügig größerer Fläche wesentlich engräumiger wirkte, weil das mit bizarrem Kunstkrempel vollgestellte Gelände eine freie Durchquerung nicht zuließ und ihren Besuchern sogar vorschrieb, wo sie Party zu machen hatten (im Party-Garten), hat sich der Donaupark, der viele seiner WIG-Attraktionen - vom Sessellift über die Seebühne, das Kino und diverse Gärten bis zu den Pavillons - längst verloren hat, eine leicht heruntergekommene Grandezza bewahrt.

Das Gelände der WIG 64 ist sozusagen auf schleichende und ungeplante Weise zeitgenössisch geworden. Der Landschaftsarchitekt Axel Lohrer, dessen Münchner Büro 2008 mit der Adaptierung und Sanierung des Donauparks beauftragt wurde, macht in einem im Katalog abgedruckten Gespräch darauf aufmerksam, dass gegenwärtige Parks nicht zuletzt aufgrund fehlender Budgets "anstatt auf durchgängige Gestaltung auf freie Benutzung und Interpretation setzen".

In diesem Sinne sollte sich die rot-grüne Stadtregierung ruhig schon einmal ernsthaft Gedanken über eine WIG 24 zerbrechen: Think Big!