Auf einer gemeinsamen Wanderung durch den Wienerwald besprechen der sozialdemokratische Pädagoge Georg Schmiedl und sein Wanderfreund, der Kaufmann Simon Katz, die Idee einer "touristischen Gruppe" für Arbeiterinnen und Arbeiter. Ende März 1895 geben sie in der Wiener "Arbeiter-Zeitung" daher eine Annonce auf, dass Naturfreunde eingeladen werden, eine solche Gruppe zu gründen. Unter den rund 30 Antwortschreiben ist auch jenes am 23. März von drei Wohnungsnachbarn in der Josefstadt abgeschickte: von den Brüdern Josef und Alois Rohrauer sowie dem Jus-Studenten Karl Renner.

Der Metallarbeiter Alois Rohrauer und seine Frau kümmern sich zu dieser Zeit um den jungen Studenten Karl Renner, der gerade an seiner Doktorarbeit schreibt, und dessen Frau und verköstigen beide. Der aus der oberösterreichischen Gemeinde Spital am Pyhrn stammende Sensenschmied Rohrauer ist wie viele andere Arbeiter auch nach Wien gekommen, weil er sich hier bessere Arbeitsbedingungen erhofft hat. Er arbeitet in einer Zahnradfabrik und verbringt seine spärliche Freizeit in den Wiener Hausbergen. Er ist ein begeisterter Wanderer und Alpinist und hält seinem jungen Schützling immer wieder Vorträge darüber, wie sehr auch die Touristik für den Klassenkampf nützlich sei. Denn:

"[...] sie allein schütze den Arbeiter vor physischem Verkommen, sie allein vermöge ihn dem Fluche des Alkoholismus zu entreißen, sie allein brächte ihn zurück zur Natur, lehre ihn die Natur wissenschaftlich zu betrachten, entziehe ihn so verdummenden Einflüssen des Aberglaubens."

Schon am 28. März 1895 findet im Extrazimmer des Gasthauses "Zum silbernen Brunnen" (Berggasse 5) eine erste Besprechung statt, an der etwa 40 Interessenten teilnehmen. Die beiden Initiatoren wollen selbst nicht allzu sehr in Erscheinung treten, weil sie um ihre berufliche Existenz fürchten. Also werden drei andere Sozialdemokraten in den Gründungsausschuss gewählt: Alois Rohrauer, Leopold Happisch und Anton Kreutzer. Der angehende Jurist Karl Renner entwirft die Statuten der "Touristischen Gruppe der Sozialdemokraten".

Am Ostersonntag, den 14. April 1895 findet die erste gemeinsame Wanderung statt:

"[...] Zusammenkunft: Früh halb 8 Uhr in der Abfahrtshalle des Südbahnhofs. Erkennungszeichen: die Arbeiter-Zeitung. Abfahrt: 8 Uhr nach Mödling. Promenadenweg über die Klause, über den Anninger nach Gaaden. Daselbst Mittagsstation in Schöny's Gasthaus. Rückweg in die Hinterbrühl. Jause: Gasthaus 'Zur elektrischen Bahn', wo auch die nachmittags Nachkommenden treffen. Führer: Genosse Rohrauer."

62 Männer und Frauen nehmen an diesem Ausflug teil, Lehrerinnen und Lehrer, Beamte, Studierende sowie manuelle Arbeiterinnen und Arbeiter aller Berufssparten.

Bald wächst der Verband zu einer touristischen Gruppe von 170 Menschen an, die sich regelmäßig treffen und gemeinsam wandern. Rohrauer, Happisch, Kreutzer und Renner bemühen sich, die lose Gruppe in einen Verein umzuwandeln, der eine Alternative zu den alpinen Vereinen der Bourgeoisie ist und auch Arbeiterinnen und Arbeitern die organisierte Teilnahme am Bergsport ermöglicht. Am 16. September 1895 findet schließlich im Gasthof "Zum goldenen Luchsen" in Neulerchenfeld die offizielle Gründungsveranstaltung des Vereins statt, an der 185 Personen teilnehmen.

Der neu zu gründende Verein braucht auch ein Emblem. Renner hat die Idee, das Symbol des Handschlags mit drei Alpenrosen zu kombinieren, und zeichnet selbst den ersten Entwurf. Der Handschlag steht für die Solidarität, die die Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung auszeichnet und auch beim Wandern Geltung hat. Der Wahlspruch ist ebenfalls schnell gefunden: "Hand in Hand durch Berg und Land". Dieser ist Ausdruck des politischen Anspruchs der NATURFREUNDE auf Freizeit und Erholung zu einer Zeit, in der die Mehrzahl der Arbeiterinnen und Arbeiter an sechs Tagen der Woche täglich mehr als zehn Stunden arbeiten müssen, in der es keinen gesetzlichen Anspruch auf Urlaub gibt und in der die Besitzrechte jegliche Nutzung von Wald und Bergland für Erholungszwecke ausschließen. So können vorerst nur Wanderungen in der Umgebung Wiens unternommen werden.

Das Programm der NATURFREUNDE wird vorerst einmal im Monat der "Arbeiter-Zeitung" beigelegt. Doch bereits nach einem Jahr reicht der so gebotene Platz nicht mehr aus, um die zahlreichen Aktivitäten des Vereins zu veröffentlichen. Es braucht eine eigene Publikation, die alle Gruppen und Mitglieder miteinander verbindet und die als Werbeschrift der jungen Bewegung dient. Am 15. Juli 1897 erscheint die erste Ausgabe der neuen Vereinszeitschrift "Der Naturfreund" in einer Auflage von 500 Stück. Redaktion und Administration übernimmt der Schriftsetzer Leopold Happisch, der bis 1903 auch den Versand in seiner Privatwohnung organisiert.

Die Auflage steigt rasch an: 1899 werden 1.500 Stück herausgegeben, 1914 sind es bereits 35.000 Exemplare. Wenn für Proletarierinnen und Proletarier größere Reisen auch unmöglich waren, so bewirkt die Zeitschrift durch ihre Berichte von fernen Ländern, von den NATURFREUNDE-Gruppen in allen Teilen der Monarchie, in der Schweiz, im übrigen Europa und in Übersee, dass die NATURFREUNDE sich international verbunden fühlen können.


Die Gründung der NATURFREUNDE ist innerhalb der Sozialdemokratie nicht unumstritten. Es gibt Vorbehalte, dass die Beschäftigung mit anderen "Hobbies" vom politischen Kampf ablenke, zumal beide auch dieselbe Zielgruppe haben. Die sozialdemokratische Partei rekrutiert sich hauptsächlich aus der Elite der Arbeiterschaft, den Facharbeiterinnen und Facharbeitern, den Gesellinnen und Gesellen, ebenso der touristische Verein, denn andere Proletarierinnen und Proletarier können sich zu jener Zeit nicht einmal den Gedanken an Freizeit leisten. Doch Renner setzt sich mit seiner Überzeugung durch,

"dass die Arbeiterklasse, wenn sie die Welt erobern wolle, sich auf allen Gebieten menschlicher Kultur zugleich betätigen müsse, dass wir nicht nur touristische, sondern auch Kunstvereinigungen, wissenschaftliche Einrichtungen und so weiter schaffen müssten. Diese Vereinigungen hätten übrigens auch ihren großen agitatorischen Wert [...]"

Gemäß dieser Auffassung, dass der politische Kampf nur dann gewonnen werden kann, wenn alle Lebensbereiche in diesen mit eingeschlossen werden, steht Karl Renner nicht nur an der Wiege der NATURFREUNDE sondern auch der Konsumbewegung, der Arbeiterbank und anderer Genossenschaften. Es ist Renners tiefste Überzeugung, dass nur durch die selbstorganisierte Gemeinschaft von Menschen, nur durch Selbstdemokratisierung jene Veränderungen geschaffen werden können, die den Sozialismus entstehen und lebendig werden lassen können. In seinem Aufsatz "Der Arbeiter als Naturfreund und Tourist" schreibt Renner:

"Kein Flecken Erde gehört uns. Das Haus, in dem wir wohnen, die Werkstatt, in der wir fronen, gehört Anderen. Die Fluren, durch die wir wandern, eigen nicht uns; der Baum, unter dem wir rasten, die Höhle, in die wir vor dem Unwetter flüchten, der Wald, der mit harzigem Duft unsere Lungen stärkt, alles, alles betrachtet uns als fremd. Wir sind Fremdlinge auf dieser Erde, wir haben keinen Teil an ihr! [...] Wir lieben die Erde auch mehr als alle, mehr als ihr! Denn wir sind ihre getreuesten Kinder. Ihr besitzt und benützt sie, wir aber bebauen sie. Ihr beherrscht sie, wir aber erneuern und verschönern sie. Ihr teilt und zerstückelt sie, ihr habt ihren herrlichen Leib mit Grenzfurchen zerschnitten, mit Grenzsteinen verunziert. Wir aber, die Arbeiter der Hand und des Geistes, verbinden sie mit Straßen und Bahnen, mit Schiffslinien und Telegrafen. [...] wir neiden euch nicht euren Reichtum. Wenn wir am Gipfel des Berges stehn, über uns das unendliche Blau, um uns reine, freie, neidlose Höhenluft, unter uns der wogende Wald, den ihr nicht bepflanzt, die wallende Flur, die ihr nicht besät, die steinerne Stadt, die ihr nicht gebaut, dann lachen wir über diejenigen, die diese Welt in lange und breite Streifen teilen, wie Krämerlädchen, die sich um dies Fleckchen beneiden, hassen, anfeinden. [...] Und dort drüben, wo die Sonne zur Rüste steht, dort wohnen noch Brüder, weit, weit über den Landen, die wir sehn. Und im Osten, im Norden und Süden. Millionen Köpfe - und alle ein Sinn, Millionen Herzen - und alle im brüderlichen Schlag. Millionen arbeitende Hände, die den Hammer führen, die Kelle schwingen, den Spaten drücken, das Rad drehen wie wir. Sie alle harren, die Mutter Erde zu einem Paradiese zu machen, für ihre getreuen Kinder."


1898 erwirkt Alois Rohrauer bei der privaten K.u.K.-Südbahn-Gesellschaft, dass die NATURFREUNDE ebenso wie die anderen alpinen Vereine auch eine Vergünstigung bei der Bahnfahrt erhalten - ein wichtiger Schritt bei der gesellschaftlichen Anerkennung. Die NATURFREUNDE sind auch der erste Verein, der eine Fahrt mit einem Sonderzug organisiert: am 14. August 1898 geht es mit der Bahn nach Salzburg.


In ihrem (politischen) Bemühen um den Menschen in seinen touristischen Bedürfnissen sind die NATURFREUNDE eine Art sozialdemokratische Avantgarde. Sie haben für die zahlreichen späteren Organisationen körperlicher und geistiger Kultur Pionierarbeit dafür geleistet, dass die österreichische Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung in ihren Zielen universal geworden ist.