Auf ihren zahlreichen gemeinsamen Wanderungen durch den Wienerwald treffen der sozialdemokratische Pädagoge Georg Schmiedl ([*] 11.9.1855 in Proßnitz, Mähren, [+] 24.2.1929 [Ehrengrab am Urnenhain Feuerhalle Simmering [Abt. ALI, Nr. 53]) und der Kaufmann Simon Katz viele alleine Wandernde, mit denen sie ins Gespräch kommen, und so reift in Schmiedl die Idee, eine "touristische Gruppe" für Arbeiterinnen und Arbeiter zu gründen, einen Verein leidenschaftlicher Naturfreundinnen und Naturfreunde, um sich gemeinsam zu erholen und sich gegenseitig Tipps zu geben. Schmiedl will die vom tristen Dasein geschwächten und entmutigten Menschen in die Natur hinaus führen und frische Luft atmen lassen, er will "aus Arbeitstieren Arbeitsmenschen" machen.

 

Manchen führenden Sozialdemokraten ist dies zunächst nicht ganz geheuer, da sie fürchten, die Arbeiter könnten dadurch dem gewerkschaftlichen und politischen Engagement entzogen werden. "Ich hab's mir gleich gedacht, dass Sie der Narr sind", soll Victor Adler zu Schmiedl gesagt haben. Doch bald sieht auch Adler ein, dass die Menschen in der freien Natur nicht nur Kraft und Erholung finden, um gestärkt ihrer Arbeit nachgehen zu können, sondern endlich auch erfahren, dass es außer Arbeit, Wirthaus und Bett noch etwas anderes im Leben gibt.

 

Anlässlich seines 70. Geburtstags erscheint in der Zeitschrift "Der Naturfreund" folgende Beiografie über Georg Schmiedl:

"Was Schmiedl den Enterbten der Gesellschaft gegeben hat, kann mit dürren Worten nicht zum Ausdruck gebracht werden. Eine Fülle geistigen Lichtes ist von diesem Manne ausgegangen [...]. Sein ganzes Leben war ein einziges ununterbrochenes Streben, die Menschen besser und edler zu machen, ihnen in Not Beistand und Hilfe zu bieten. Als Sohn eines schlesischen Lehrers geboren, wuchs Geotg Schmiedl zwischen Büchern, Retorten, Landkarten und Herbarien auf. Schon als achtjähriges Kind verwaist, kam er zu einer kinderreichen Muhme, die durch ihre seltene Herzensgüte und ihren scharfen Verstand auf den Knaben tief einwirkte. Nach dem Besuch des Gymnasiums zu Olmütz kam er in das Lehrerseminar zu St. Anna in Wien. 1876 begann er seine Lehrtätigkeit an der Volksschule Wien 8., Albertgasse. [...]. Nach und nach kam er in die Kreise organisierter Arbeiter und wurde [...] in das Schrifttum und den Gedankenkreis der Sozialdemokratie eingeführt. Bald darauf wurde er aufgefordert, in Arbeitervereinen Vorträge zu halten und für die Arbeiterpresse Beiträge zu liefern [...]. So schrieb er für das von Jakob Reumann geleitete Fachblatt der Drechsler [...].

Gelegentlich eines Vortrages beim "Grünen Jäger" in der ehemaligen Hundsturmer Straße - es war in der Zeit des Ausnahmezustandes - machte er die Bekanntschaft eines besonders aufmerksamenen Zuhörers, der seine volle Zustimmungen zu dem Gehörten ausgedrückt hatte: es war dies Victor Adler. Seit jenen Tagen war der junge Erzieher ein steter Gast in dem Adlerschen Hause in der Berggasse im 9. Bezirk. [...]. In jener Zeit bemühte sich Adler um die Vereinigung der beiden, einander befehdenden Gruppen der Arbeiterschaft. Schmiedl unterstützte ihn hierbei nach Kräften, weshalb ihm sogar gefährliche, damals mit hohen Strafen bedrohte Aufgaben übertragen wurden. Es war nur selbstverständlich, dass er an dem denkwürdigen Parteitag zu Hainfeld teilnahm. Auch an den Vorarbeiten zum Wochenblatt 'Die Gleichheit' hatte er regen Anteil und unterstützte es durch zahlreiche Beiträge [...].

Auch zu Engelbert Pernerstorfer trat er in ein auf Gleichheit der Anschauungen begründetes Verhältnis [...].

Zu jener Zeit gab es noch keine Lehrerbewegung. Schmiedl war es, der im Verein 'Volksschule' über das traurige Los der 'provisorischen Aushilfsunterlehrer' und dessen Einfluss auf den Unterricht hinwies. 'Wem das Gehalt zu klein ist, der muss nicht Lehrer werden', war die Antwort der maßgebenden Personen. Gemeinsam mit [...] anderen Pädagogen begründete er die 'Wiener pädagogische Gesellschaft', deren Ausschuss er durch viele Jahre angehörte. Ebenso legte er mit Seitz, Enslein, Sonntag und anderen den Grund zum 'Zentralverein der Wiener Lehrerschaft' und war in der gefährlichsten Zeit Mitglied der Leitung.

Vom ersten Tag seiner Lehrtätigkeit hielt er seine Kinder dazu an, das erworbene Wissen in die Tat umzusetzen. Er machte mit ihnen trotz Missbilligung seiner Amtsgenossen und Vorgesetzten Ausflüge und Spaziergänge, um die Beobachtungsgabe, den Gemeinschaftssinn und die Selbständigkeit der Kinder zu fördern. In der Erkenntnis, dass nur der klar und fachlich unterrichten kann, der selbst umfassendes Wissen hat, besuchte er das Wiener Pädagogikum (Dittes), widmete sich durch 20 Jahre dem Studium aller Zweige der Naturwissenschaft, arbeitete in Museen und Laboratorien, unternahm wissenschaftliche Wanderungen und suchte in Vorträgen und Büchern sein wirtschaftliches, soziologisches und philosophisches Wissen zu erweitern.

Die Beobachtung der Kinderseele machte ihm den Grund für den Schiffbruch sehr vieler Schüler klar und enthüllte ihm die Ursache, weshalb sie den Tag ihres Austrittes aus der Schule mit Freuden begrüßen. Die Erkenntnis, dass Können wichtiger als Wissen ist, veranlasste Schmiedl, sich in alle Arten der Handgeschicklichkeit einzuarbeiten und dann den Verein 'Arbeit' zu gründen, dessen Zweck es war, das Verständnis für erzieherische Bedeutung der Handbetätigung zu erwecken, was hauptsächlich durch Errichtung einer Werkstätte für Kinder und Vorträge erreicht wurde. [...]

Die Beschäftigung mit den Gesellschaftswissen-schaften machte ihm die Abhängigkeit einer gedeihlichen Erziehung und einem erfolgreichen Unterrichtes von den wirtschaftlichen Verhältnissen klar und gab ihm den Antrieb zur Gründung der 'Sozialpädagogischen Gesellschaft'.

Auf langen und vielen Fußwanderungen, bei den zahlreichen Schülerfahrten beobachtete Schmiedl deren tiefe Wirkung auf Leib, Geist und Gemüt. Dies veranlasste ihn, um auch den Arbeiter aus der Enge des Alltags herauszufahren, den Verein 'Die Naturfreunde' ins Leben zu rufen, ein kleines Samenkorn in das Erdreich des Volkes zu legen, das nun, dank richtiger Pflege, zum stattlichen Baum erwachsen ist.

Die Notwendigkeit größerer Gemütspflege ließ in Schmiedl den Gedanken reifen, 'Weiheabende' zu veranstalten, Andachtsstunden, in denen Gesang, Musik, Rezitation und eine sinnvolle Rede Begeisterung und Hingabe an die Ideale edlen Menschentums erwecken sollen - eine Einführung, die als 'Weltliche Sonntagsfeier' weite Verbreitung gefunden hat.

Unser Freund war überall zur Stelle, wo es die Volksbefreiung und Menschenerhöhung galt. In unzähligen Artikeln und - bis zur Stunde 1.700 Vorträgen half er den Weg in eine bessere Zukunft bahnen. Aber auch als Rater und Helfer stand und steht er allen zur Seite, die sich an ihn wenden.

Seine Tätigkeit im Dienste der Menschenbefreiung brachte ihm mancherlei Verfolgung und Zurücksetzung. Durch lange Zeit blieb er auf der untersten Gehaltsstufe trotz erfolgreichen Wirkens an verschiedenen Volks- und Bürgerschulen stehen. Erst [...] als er eben in den Ruhestand treten wollte, wurde er zum Oberlehrer ernannt. 1919 berief ihn Bürgermeister Jakob Reumann als Pädagogischen Inspektor ins Jugendamt, wo er jetzt noch wirkt [...]."