Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts ist geprägt von Liberalismus und dem Aufschwung des Kapitalismus. Damit verbunden ist der Aufschwung des Bürgertums.

 

In der ersten Phase des kapitalistischen Aufschwung, der Phase des so genannten Manchester-Kapitalismus, müssen die Lohnsklavinnen und Lohnsklaven bis zu 16 Stunden am Tag arbeiten, auch samstags. Es gibt keine soziale Absicherung für die meisten Menschen, keinen Urlaub, keine Kranken- und Arbeitslosenversicherung. Kinderarbeit ist weit verbreitet und die Sterblichkeit unter der armen Bevölkerung sehr hoch. Zum politischen Problem wird dies jedoch erst, als sich nicht mehr genügend wehrtaugliche Rekruten für das Militär finden.

 

In den Städten und Industriezentren gibt es immer mehr völlig rechtlose Heerscharen manuell arbeitender und in großem Elend lebender Menschen. Die rasante Entwicklung der Eisenbahn und ihrer Netze - der Leitindustrie des 19. Jahrhunderts - beschleunigt diese Entwicklung. Die Landbevölkerung zieht verstärkt in die Städte, wo sie das Industrieproletariat bildet. Die Großstädte leiden immer mehr an Überbevölkerung, es gibt nicht genug sauberes Trinkwasser und die Kanalisationen sind noch nicht entsprechend ausgebaut. So wüten gerade in den Armenvierteln der Städte oft verheerende Cholera-Epidemien.

 

Katastrophal ist auch die Wohnsituation. Trotz schlechtester Standards herrscht extremer Mangel an Wohnraum, deshalb vermieten viele Arbeiterinnen- und Arbeiterfamilien ihre Betten an so genannte "Bettgeherinnen und Bettgeher", die untertags in ihren Betten schlafen.

Der Wiener Arzt Victor Adler problematisiert in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift "Die Gleichheit" die Situation der Ziegelarbeiterinnen und Ziegelarbeiter in den Lehmgruben am Wienerberg. Er berichtet von Schlafräumen für bis zu 60 Menschen, wo Frauen unter dem Beisein zahlreicher Männer ohne jegliche hygienische Standards sogar Kinder zur Welt bringen. Entlohnt werden diese Arbeitssklavinnen und Arbeitssklaven lediglich mit "Blechgeld", mit welchem sie nur in firmeneigenen Läden zu überhöhten Preisen Lebensmittel von geringer Qualität eintauschen können. Vor diesem Hintergrund einigt eben jener Victor Adler die in einen anarchistischen und einen pragmatischen Flügel tief zerstrittene und daher politisch gelähmte österreichische Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung und gründet zum Jahreswechsel 1888/89 in Hainfeld die Sozialdemokratische Arbeiterpartei unter seiner Führung. Hauptforderungen der jungen Partei sind: Verbot der Kinderarbeit, Einführung einer allgemeinen Kranken-, Pensions- und Arbeitslosenversicherung für alle, Urlaub und Acht-Stunden-Tag, allgemeines und gleiches Wahlrecht (diese Forderung war der Streitpunkt zwischen den beiden Flügeln).

Es gibt zu dieser Zeit drei Klassen in Österreich: den Adel und den Klerus, die herrschende Klasse des feudalen Regimes; das Bürgertum, das sich mit Hilfe der Arbeiterinnen und Arbeiter politisch hat emanzipieren können und zur herrschenden Klasse des Kapitalismus aufsteigt; und die große Masse des Proletariats, das nach der von ihm mit getragenen bürgerlichen Revolution entrechtet bleibt und aufgrund des ungerechten Kurienwahlrechts keine politische Vertretung hat, aber Träger der proletarischen Demokratie ist.